HEIMAT WESTFALEN Ausgabe 6/ 2024 KULTUR VERBINDET! WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN
I NHALT 38 „45 Minuten Heimat konkret“ – Nachwuchs in der ehrenamtlichen Heimatpflege WHB-SEMINARE 40 Westfalen-Akademie LÄUFT BEI UNS…! 41 Vereinstipp zur Zielgruppenansprache ENGAGIERT VOR ORT 42 Heimatmacher-Praxisbeispiele aus Ihrer Arbeit TAGUNGEN UND VERANSTALTUNGEN 46 Praxistag Städtepartnerschaften am 14. Oktober in Duisburg 47 Austausch über Dritte Orte als Kultureinrichtungen. WHB-Geschäftsführerin beim Kulturfrühstück der FDP- Landtagsfraktion NACHRICHTEN UND NOTIZEN 48 Bitte vormerken – Westfalentag am 14. Juni 2025 in Dortmund 49 Ausstellung zu Andreas Rottendorf (1897-1971) PREISE UND AUSSCHREIBUNGEN 50 NRW-Landesinitiative „Europa-Schecks – Förderung lebendiger Demokratie“. Europa-Engagement unbürokratisch unterstützen DANK UND ANERKENNUNG 51 Bürgergenossenschaft Darup eG mit Johann-Conrad- Schlaun-Preis 2024 ausgezeichnet 52 Verleihung der Augustin-Wibbelt-Plakette 2024 an Stefan Wittenbrink 53 Alois Thomes NEUERSCHEINUNGEN 54 Wiedenbrück – Zentrum sakraler Kunst zwischen 1860 und 1940 54 Minden – Stadt an der Weser 3 Editorial KULTUR VERBINDET! WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN 4 FRAUKE HOFFSCHULTE Gewusst wie – Archivarbeit in Heimatvereinen. Bericht über das Praxis-Seminar des Westfälischen Heimatbundes in Kooperation mit dem LWL-Archivamt für Westfalen MEINE HEIMAT WESTFALEN 17 Nadja Relin 18 BEATE BROCKMANN UND FRAUKE HOFFSCHULTE Städtepartnerschaften als zentrale Instrumente für Völkerverständigung, internationale Zusammenarbeit und das Eintreten für europäische Werte 24 FRAUKE HOFFSCHULTE UND TOBIAS SEEGER Kulturvermittlung für Heimataktive. erleben.app möchte Tourismus und Heimatkultur zusammenbringen SERVICEBÜRO WHB 28 Was bietet das LWL-Medienzentrum für Westfalen den Heimatvereinen? 30 Fördermittelprogramme im Bereich Klimaanpassungs- strategien. Unterstützung für Kommunen, Vereine und soziale Einrichtungen NEUE MITGLIEDER IM WHB 32 Dorfgemeinschaft Twiehausen e. V. WHB-PROJEKTE 33 Ehrenamt sichtbar machen – Aktionstag von WHB und WestLotto 34 Netzwerk junges Engagement im WHB wird gegründet 35 Tür auf für Initiativen einer Sorgenden Gemeinschaft – WHB-Adventskalender 2024 36 Podcast-Reihe von WestLotto und Westfälischem Heimatbund. „Das Sprechende Denkmal“ HEIMAT WESTFALEN ISSN 2569-2178 / 37. Jahrgang, Ausgabe 6/2024 Herausgeber: Westfälischer Heimatbund e. V. · Kaiser-Wilhelm-Ring 3 · 48145 Münster Vorstand im Sinne des § 26 BGB: Dr. Georg Lunemann (Vorsitzender), Birgit Haberhauer-Kuschel (stellvertr. Vorsitzende) Vereinsregister des Amtsgerichts Münster, Nr. 1540 · USt-ID: DE 126116974 Telefon: 0251 203810-0 · Fax: 0251 203810-29 E-Mail: whb@whb.nrw · Internet: www.whb.nrw Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dr. Silke Eilers Schrift- und Anzeigenleitung: Dr. Silke Eilers Redaktion: Dr. Silke Eilers, Frauke Hoffschulte, Sina Jeurink, Sarah Pfeil, Astrid Weber Layout: Gaby Bonn, Münster Druck: Druck & Verlag Kettler GmbH · Robert-Bosch-Straße 14 · 59199 Bönen Für namentlich gezeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. Diese Zeitschrift erscheint im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Titelbild: Lichtfestival „Goldstücke“ im Goldbergpark in Gelsenkirchen, September 2020 Foto/ Siegbert Kozlowski © LWL-Medienzentrum für Westfalen Gefördert von:
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 3 ultur prägt unser Verständnis von Heimat, während Heimat wiederum einen Raum bietet, in dem sich kulturelle Praktiken entfalten können und kultureller Austausch stattfindet. Bürgerschaftlich Engagierte spielen dabei eine Schlüsselrolle in der kulturellen Nahversorgung. Sie fördern die Identifikation mit der Region, schaffen Begegnungsorte und machen kulturelle Angebote für alle Altersgruppen zugänglich. Gerade in Regionen mit infrastrukturellen Defiziten sind Heimatakteurinnen und -akteure häufig zentrale Träger des kulturellen Geschehens. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für die kulturelle Daseinsvorsorge stärken die Ehrenamtlichen vielfach die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Auf diese Weise können sie letztlich auch einen wichtigen Beitrag zur Förderung demokratischer Werte und Prozesse leisten. Die letzte Ausgabe des Verbandsmagazins in diesem Jahr, die traditionell einen starken Praxisbezug hat, widmet sich der Frage, wie Heimatvereine Kultur zeitgemäß vermitteln, Wissen teilen und neue Partnerschaften eingehen können. WHB-Referentin Frauke Hoffschulte gibt auf Basis eines Fortbildungsangebotes von WHB und LWL-Archivamt für Westfalen Tipps für die Archivarbeit in Heimatvereinen. Gemeinsam mit Beate Brockmann, Referentin der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften, stellt sie eine Broschüre der Auslandsgesellschaft.de e. V. vor, die Wissenswertes rund um Städtepartnerschaften bereithält. Zudem präsentiert sie mit Tobias Seeger, Gemeindeheimatpfleger von Stemwede, eine App, die digitale Wege zur Darstellung von Heimat eröffnet. Auf den Serviceseiten bieten wir Ihnen wieder ein vielfältiges Angebot. Mit der Gründung eines eigenen WHB-Netzwerks wollen wir junges Engagement für Heimat stärken. „Tür auf für Initiativen einer Sorgenden Gemeinschaft“ heißt es in unserem digitalen WHB-Adventskalender, der inspirierende Projekte für ein unterstützendes Miteinander beinhaltet. In der jüngsten Folge von „45 Minuten Heimat konkret“, dem neuen Wissens- und Austauschformat des WHB, ging es um effektive Strategien zur Nachwuchsgewinnung und -bindung in der ehrenamtlichen Heimatpflege. Unbezahlbar und unersetzlich: Mit dem Aktionstag „Ehrenamt sichtbar machen“ möchten WHB und WestLotto das Engagement für Heimat ins Rampenlicht rücken und einfach einmal „Danke“ sagen. Merken Sie sich schon jetzt den 29. Januar 2025 vor! Auch der kommende Westfalentag am 14. Juni 2025 auf der Kokerei Hansa in Dortmund verdient einen festen Platz in Ihrem Kalender. Der Vorstand und das Team der WHB-Geschäftsstelle wünschen Ihnen eine friedvolle Advents- und Weihnachtszeit und alles Gute für das kommende Jahr 2025! Foto/ Greta Schüttemeyer Herzliche Grüße Ihre Dr. Silke Eilers Geschäftsführerin des WHB K ED I TOR I AL
4 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 Grafik/ Robert Zirk KULTUR VERBINDET! GEWUSST WIE – ARCHIVARBEIT IN HEIMATVEREINEN BERICHT ÜBER DAS PRAXIS-SEMINAR DES WESTFÄLISCHEN HEIMATBUNDES IN KOOPERATION MIT DEM LWL-ARCHIVAMT FÜR WESTFALEN VON FRAUKE HOFFSCHULTE
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 5 V WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN iele WHB-Mitgliedsvereine haben einen größeren Bestand an Unterlagen und Objekten unterschiedlichster Art. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Schriftgut, Fotos, Dias, Filmaufnahmen, Bücher oder auch dreidimensionale Sammlungsobjekte. Diese werden häufig in Räumlichkeiten des Vereins aufbewahrt und sind teilweise bereits analog oder digital erschlossen oder aber – beispielsweise nach Schenkungen – noch ungesichtet eingelagert. Dazu erreichen den WHB regelmäßig viele Fragen aus der Mitgliedschaft. Im Rahmen eines gemeinsamen Fortbildungsangebotes von WHB und LWL-Archivamt für Westfalen wird das Thema Archivarbeit in Heimatvereinen gemeinschaftlich angegangen. Am 29. Oktober 2024 fand jetzt das Präsenzseminar „Archivarbeit in Heimatvereinen“ statt, nachdem 2023 bereits drei „DigitalSprechstunden“ realisiert wurden. Fünf Referierende des LWL-Archivamtes für Westfalen gaben nun den Teilnehmenden im stark nachgefragten Seminar einen Überblick über die theoretischen Grundlagen in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen. Das Präsenzseminar bestand aus vier Themenblöcken, die alle für sich bereits umfängliches Wissen im Bereich des Archivwesens vermittelten. Das Seminar erläuterte anspruchsvolles Fachwissen, ohne dabei den Blick auf die begrenzten Möglichkeiten des Ehrenamtes zu verlieren. Der Tag schloss mit einer informativen Führung durch das Archivamt, angeleitet von LWL-Referent Hans-Jürgen Höötmann. Hier konnte in der Restaurierungswerkstatt, dem Scanraum und dem Lesesaal ein spannender Eindruck von der Praxis gewonnen werden. In dieser Ausgabe der Verbandszeitschrift möchten wir Interessierten mit einem Nachbericht zum Seminar einen Einblick in die praktische Archivarbeit in Heimatvereinen geben. MÖGLICHST FACHGERECHTER UMGANG MIT UNTERLAGEN Das Interesse an einem möglichst fachgerechten Umgang mit Unterlagen ist auch im bürgerschaftlichen Engagement enorm, sodass wir uns entschlossen haben, einen kurzen praxisnahen und mit Tipps angereicherten Einblick in professionelle Archivarbeit zu geben, wohlwissend, dass kleine Archive und Sammlungen dem Fachstandard hauptamtlich geführter größerer Einrichtungen nicht im Detail werden folgen können. Vielleicht trägt der Beitrag dazu bei, an der einen oder anderen Stelle neue Archivierungsprozesse zu implementieren, die letztendlich der Bewahrung der Geschichte und Kultur Westfalens zugutekommen. Der Begriff „Archiv“ steht daher im Zusammenhang dieses Textes ebenso für kleine Vereinsarchive und Sammlungen. THEMENBLOCK 1: BESTANDSERHALTUNG Referentin und Werkstattleiterin Birgit Geller, zuständig für Beratung in Fragen der Bestandserhaltung, informierte als Erstes die Teilnehmenden über ihren Arbeitsbereich. Sie befasste sich mit der Bedeutung und Methoden zur Erhaltung von Archivgut, indem sie Präventionsmaßnahmen und Restaurierungsmöglichkeiten für Archivgut aufzeigte. Um Schäden präventiv zu vermeiden, ist es wichtig zu verstehen, was ihre Ursachen sind. Schäden entstehen oft durch ungünstige Lagerungsbedingungen und äußere Einflüsse. Zu feuchte und zu warme sowie unsaubere Lagerung fördert Schimmelwachstum, Korrosion und Insektenbefall. Licht führt zu Vergilbung und Ausbleichen, vor allem bei offener Lagerung oder langfristiger Präsentation. Fehlende oder unsachgemäße Verpackung begünstigt mechanische Schäden und beschleunigt die Alterung. Besonders anfällig für Informationsverlust ist säurehaltiges Papier, „Das Interesse an einem möglichst fachgerechten Umgang mit Unterlagen ist auch im bürgerschaftlichen Engagement enorm, sodass wir uns entschlossen haben, einen kurzen praxisnahen und mit Tipps angereicherten Einblick in professionelle Archivarbeit zu geben, wohlwissend, dass kleine Archive und Sammlungen dem Fachstandard hauptamtlich geführter größerer Einrichtungen nicht im Detail werden folgen können.“
6 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 das stark verbräunt und brüchig wird. Bauliche Mängel in den Lagerräumen erhöhen das Risiko für Feuer, Wasser- und Vandalismusschäden. SCHADENSVERMEIDUNG Zur Erhaltung der Bestände empfahl Geller folgende Maßnahmen: Klimaregulierung: Kühle, sonnengeschützte und trockene Räume mit einer relativen Luftfeuchtigkeit unter 50 Prozent sind ideal. Lüften sollte vor allem im Sommer nur früh morgens erfolgen, um die Feuchtigkeit niedrig zu halten. Ein digitales Thermohygrometer hilft, Luftfeuchtigkeit und Temperatur im Auge zu behalten. Die Aktivität und Vermehrungsrate der schädlichen Papierfischchen ist bei Lagerung unter 14 Grad Celsius bereits deutlich zu reduzieren. Hygiene: Durch regelmäßiges Absaugen von Lagerflächen und das Vermeiden von Lebensmitteln in Archivbereichen lässt sich Schädlingsbefall vorbeugen, denn erst wo Staub ist, können Schädlinge und Pilze Fuß fassen. Handelsübliche Schädlingsfallen aus dem Drogeriemarkt können ausgelegt werden, um zu ermitteln, ob beziehungsweise wie groß der Befall mit Silber- oder Papierfischchen vor Ort ist. Befallene Bestände können dann mindestens 24 Stunden in einer Gefriertruhe bei KULTUR VERBINDET! -18 Grad Celsius eingefroren werden, um Schädlinge abzutöten. Verpackung und Handhabung: Alterungsbeständige Materialien ohne Metallteile, säurefreie Hüllen und sachgerechte Lagerung sind entscheidend. Produkte aus Recyclingpapier oder mit dem „Blauen Engel“ erfüllen diese Anforderungen leider nicht. Bücher und Akten sollen liegend gelagert, lose Dokumente in Archivmappen und -umschlägen geschützt aufbewahrt werden. Das LWL-Archivamt für Westfalen hält für die nichtstaatlichen Archive in Westfalen-Lippe ausgewählte Materialien vor, die ab einem Bestellwert von 100 Euro zum Einkaufspreis bezogen und in Münster abgeholt werden können. Hierbei handelt es sich um Archivschachteln mit Stülpdeckel, Aktendeckel (Vorder- und Rückseite), flexible Schlauchheftungen für das Umbetten von Akten sowie Sammelmappen aus alterungsbeständigem Karton. Fotos und audiovisuelle Medien: Fotos und Negative sollten nur mit Handschuhen angefasst werden. Es empfiehlt sich die Verpackung in neutralen Hüllen. Ideal wäre es, zwischen Fotos je ein neutrales Papier zu legen. Für Ausstellungen sind Reproduktionen zu nutzen, da hier Originale längerfristig stärkerem Lichteinfall ausgesetzt sind. Videos, Magnetbänder und CDs sollten zeitnah digitalisiert werden, da sie besonders empfindlich sind. Digitalisierung von audiovisuellen Medien: Hier ist gegebenenfalls das LWL-Medienzentrum für Westfalen Ansprechpartner und beratend tätig, entweder um Bestände bei inhaltlich überregionalem Interesse selbst zu digitalisieren und als Depositum der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, oder aber um Fachfirmen und Methoden zu empfehlen. Als Depositum werden Unterlagen oder Gegenstände bezeichnet, die von Privatpersonen oder Institutionen in einem Archiv, einer Bibliothek oder einem Museum hinterlegt werden. Diese können dort nur verwahrt, aber auch erschlossen werden. Es erfolgt im Gegensatz zu Schenkungen aber keine Eigentumsübertragung. Das Film- und Tonarchiv des LWL-Medienzentrums wurde 1986 gegründet, um westfälisches Kulturgut aus den Bereichen Film und Ton zu sammeln, zu sichern, zu erschließen und für die heimat- und landeskundliBlick in die Restaurierungswerkstatt Foto/ WHB/Hoffschulte
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 7 che Arbeit zugänglich zu machen. Übernommen werden aus privatem und öffentlichem Besitz Film- und Tonmaterialien, die regional-, wirtschafts- oder sozialgeschichtliche Aspekte Westfalens veranschaulichen. Einen besonderen Schwerpunkt beim Auf- und Ausbau des Filmarchivs bildet der in seiner Existenz hochgefährdete Amateurfilm. Die Sammlungen werden archiv- gerecht gelagert. Beinahe 200 Institutionen und eine noch größere Zahl von Privatpersonen haben bislang von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Notfallvorsorge: Regelmäßige Überprüfungen von Elektrogeräten, wasserführenden Leitungen und Dichtungen erhöhen die Sicherheit, ebenso die Installation von Rauchmeldern. Eine Lagerung direkt auf dem Boden, neben Heizkörpern oder unter Fenstern ist zu vermeiden. Ist ein Schaden eingetreten oder eine Restaurierung aus anderen Gründen gewünscht oder erforderlich, kann das LWL-Archiv- amt zu erforderlichen Maßnahmen beraten und gegebenenfalls eine fachgerechte Konservierung oder Restaurierung übernehmen. Hierfür wird nichtstaatlichen Archiven ein Nachlass von 30 Prozent auf den Preis gewährt. FAZIT Eine wirksame Bestandserhaltung erfordert idealerweise optimale Lagerungs- und Nutzungsbedingungen. Wenn diese nicht vor Ort sichergestellt werden können, bietet sich je nach Archivgut auch eine Übergabe der bedeutsamsten Bestände an ein geeignetes Archiv im Rahmen eines Depositalvertrages an. Gellers Präsentation lieferte wertvolle Einblicke und konkrete Handlungsanweisungen, wie Heimatvereine ihre Archivbestände nachhaltig und wirksam schützen sowie lagern können. THEMENBLOCK 2: ORDNUNG UND VERZEICHNUNG Im Anschluss beschrieb Dr. Stefan Schröder, Berater der kommunalen und privaten Archive in den Kreisen Herford, Höxter, Lippe, Minden-Lübbecke und Paderborn, wesentliche Methoden zur strukturierten Erfassung von Archiv- und Sammlungsgut. Die Präsentation gab Heimatvereinen eine systematische Anleitung, wie sie ihre Bestände effektiv ordnen und verzeichnen können, um einen langfristigen Erhalt und eine einfache Auffindbarkeit sicherzustellen. Heimatvereine bewahren oft eine vielfältige Bandbreite an Kulturgut, die eine präzise Erschließung (Ordnung und Verzeichnung) erfordert. Langfristiges Ziel der Archivierung ist es, diese Daten systematisch und wiederauffindbar für Nachfolgende zu verwalten. Hier ist zuerst einmal gleich, ob analog oder digital. Das Ergebnis dieser Archivierungsarbeit mit einem Archivinformationssystem (AIS) sollte eine durchsuchbare Datei oder Datenbank, notfalls ein sogenanntes Findbuch in Papierform sein. Als Repertorium oder Findbuch bezeichnet man im Archivwesen ein schriftliches Verzeichnis der Archivalien eines Archivs. Eine zentrale Erfassung aller Objekte im AIS (zum Beispiel in einer Archivsoftware oder einem Tabellenkalkulationsprogramm wie Excel) wird wegen der zu erwartenden großen Datenmenge empfohlen. Die Tektonik, also die Gliederung in Gruppen, sorgt für Übersichtlichkeit. Das Provenienzprinzip – die Beibehaltung des Herkunftszusammenhangs – ist dabei essentiell. Metadaten helfen im zweiten Schritt dabei, das Archivgut umfassend zu beschreiben. WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN Blick in die Restaurierungswerkstatt Foto/ WHB/Hoffschulte „Heimatvereine bewahren oft eine vielfältige Bandbreite an Kulturgut, die eine präzise Erschließung (Ordnung und Verzeichnung) erfordert. Langfristiges Ziel der Archivierung ist es, diese Daten systematisch und wiederauffindbar für Nachfolgende zu verwalten. Hier ist zuerst einmal gleich, ob analog oder digital.“
8 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 Raumpläne sollten alle Lagerorte detailliert erfassen. Jedes Stück erhält eine eindeutige, kurze Signatur, die sowohl das Bestandskürzel als auch eine laufende Nummer umfasst und auf der Verpackung vermerkt wird. Für die Raumpläne sollten einheitliche Kürzel für Räume, Regale und Böden verwendet werden. Hintergrundinformationen, die im AIS festgehalten werden, klären rechtliche Fragen und erleichtern die Forschung. TEKTONIK: INHALTLICHE ORDNUNG Die Tektonik eines Archives gliedert den Bestand in Gruppen oder Abteilungen. Archivgut wird nach Herkunft und Art gegliedert: 1. eigene Bestände des Vereins, zum Beispiel historische Unterlagen über den Verein 2. fremde Bestände wie Nachlässe anderer Vereine oder Personen 3. Sammlungen: Flugblätter, Zeitungen, Karten, Fotos und Filme 4. Bibliothek: veröffentlichte und unveröffentlichte Literatur 5. museale Objekte: 3D-Objekte Passende Signatursysteme für das zu erstellende AIS sind eine Kombination aus Bestandskürzel und laufender Nummer (damit bleibt die Provenienz gewahrt). Empfohlen werden reine Zahlenfolgen, bei der der erste Bestandteil die Nummer des Bestandes, der zweite Teil die laufende Nummer innerhalb des Bestandes angibt. Anders als ein klassisches Archiv, in dem hauptsächlich Schriftgut aufbewahrt wird, gleichen die Archive von Heimatvereinen allerdings eher einem Gemischtwarenladen, da sie Schriftgut, Fotos, Dias, audiovisuelles Material, Bücher, aber auch dreidimensionale Sammlungsobjekte enthalten. Bei einem Nachlass wären so beispielsweise unterschiedliche Archivalien nachvollziehbar einerseits dem Nachlass zuzuordnen, jedoch ebenso ihrer jeweiligen Objektgruppe. Am sinnvollsten erscheint es daher, einen Nachlass auseinander zu sortieren und im Archiv Briefe zu Briefen, Fotos zu Fotos et cetera zuzuordnen. Der Zusammenhang zum Nachlass einer bestimmten Person ergibt sich dann nicht mehr durch den Lagerort, sondern durch die Signatur der einzelnen Archivalie im AIS. Die Signatursysteme in Vereinen könnten dementsprechend passende Buchstabenkürzel erhalten, mit denen sie beginnen: • D für Dias • F für Foto • K für Karten • O für Objekte • P für Plakate • SCH für Schriftgut • Z für Zeitungen et cetera. Beispiel für die inhaltliche Ordnung von Unterlagen in einem Heimatverein Grafik/ LWL-Archivamt für Westfalen/Schröder KULTUR VERBINDET!
WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 9 ANWENDUNGSBEISPIELE FÜR DIE VERZEICHNUNG • Akten und Bücher erhalten eine Signatur, Titel und Laufzeit. Angaben zu Schäden sind sinnvoll. • Urkunden werden mit Datierung, Regest und gegebe- nenfalls Angaben zu Material und Siegeln verzeichnet. • Fotos benötigen Informationen zum Urheberrecht und Nutzungsrecht. Minimal: Signatur, kurze Bildbe- schreibung, circa Datierung, Fotograf (Urheberrecht), Nutzungsrecht; ergänzend: Maße, Fotoausrichtung, Farbigkeit und Material; sinnvoll: ausführliche Bild- beschreibung, Farbe oder s/w • Digitale Medien wie CDs und Filme sind nur begrenzt haltbar und sollten zur Langzeitsicherung digitalisiert und mehrfach kopiert werden. Speichermedien müssen mit technischen und inhaltlichen Angaben dokumen- tiert werden. Filme aus älterem Nitromaterial sind unter Umständen selbstentzündlich (Lagerung in ei- nem normalen Kühlschrank sinnvoll), Tonbänder/Film- streifen/Negative/Dias aller Art müssen möglichst bald digitalisiert werden. EXKURS: URHEBERRECHT BEI VERÖFFENTLICHUNG VON ARCHIVALIEN Einen Kalender mit historischen Aufnahmen herausgeben oder ein Video von der letzten Vereinsveranstaltung posten, Zeitungsausschnitte für eine Ortschronik nutzen oder Fotos der Museumsexponate online stellen – häufig sind Ehrenamtliche mit dem Urheberrecht konfrontiert. Der WHB hat gemeinsam mit dem Münsteraner Fachanwalt Wilhelm Achelpöhler 2021 einen praxisnahen Leitfaden für die Arbeit engagierter Laien vorgelegt, der beim WHB kostenlos bezogen werden kann. EXKURS: PFLICHTABGABE FÜR IN WESTFALEN PRODUZIERTE PUBLIKATIONEN Bei Büchern handelt sich nicht um Archivgut. Bücher und Publikationen müssen nicht dauerhaft im Heimatverein selbst vorgehalten und verzeichnet werden, denn dies ist der Auftrag der zuständigen Landesbibliothek. Publikationen, die Heimatvereine im Eigenverlag herausbringen, müssen ebenso wie Verlagsprodukte als Pflichtexemplare an die zuständige Landesbibliothek abgegeben werden. Neben der Abgabe„pflicht“ eröffnet sich hier auch eine Arbeitserleichterung, denn auf diese Weise könnte man sichergehen, dass Publikationen erstens einer größeren Öffentlichkeit zugänglich sind und zweitens fachgerecht systematisch erfasst und katalogisiert werden. In der Verbandszeitschrift Heimat Westfalen, Ausgabe 5/2019 haben wir bereits über die Abgabe von Pflichtexemplaren berichtet. Die ULB Münster ist für den Landesteil Westfalen zuständig. Für die westfälische Landeskunde und Heimatforschung hält sie ein umfassendes Angebot regionaler Literatur bereit. Beispiel für vier Kern-Metadaten der Verzeichnung Grafik/ LWL-Archivamt für Westfalen/Droste BEISPIEL FÜR SIGNATUREN 11/201 (lfd. Nr. 201 in Bestand 11) F 11/0001 (Buchstaben zum Beispiel für einen Fotobestand) Vier Kern-Metadaten bei der Verzeichnung enthalten Informationen wie • Signatur • Titel • Laufzeit (ältestes und jüngstes Stück in der Archivalie) • eine knappe Erläuterung für die Archivbestände
10 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 Grundlage hierfür ist die gesetzlich verankerte Pflicht aller Literaturproduzenten zur unentgeltlichen Abgabe je eines Exemplars der in Westfalen hergestellten Neupublikationen an Münsters Universitätsbibliothek. 2013 weitete das Land im NRW-Pflichtexemplargesetz die Ablieferungspflicht auf digitale Publikationen aus. Seit 2021 ist die Pflichtabgabe im Gesetz zum Erlass eines Kulturgesetzbuches sowie zur Änderung und Aufhebung weiterer Vorschriften (Kulturrechtsneuordnungsgesetz) geregelt. Ablieferungspflichtig sind Verlage sowie öffentliche und private Selbstverleger wie Kommunen, Kirchen, Hochschulen, Firmen, Vereinigungen, Vereine und Einzelpersonen in NRW. Gedruckte und E-Pflichtexemplare der drei westfälischen Regierungsbezirke Arnsberg, Detmold und Münster gehen an die Pflichtstelle der ULB Münster, digitale per Mail oder direkt über das Portal „Westfalica electronica“. In ihrem Webauftritt ist die ULB Münster mit den Seiten „Landesbibliothek für Westfalen“ präsent. Hier informiert sie über Rechtsgrundlagen der Pflichtexemplar-Abgabe, Ansprechpersonen sowie Recherchemöglichkeiten und Bestände der Landesbibliothek. Damit Wissen nicht verloren geht, sondern überregional zugänglich gemacht wird, können Vereine prüfen, ob eigene oder lokale Publikationen dort bereits vermerkt sind. Dann erübrigt sich langfristig die Aufbewahrung im Heimatverein selbst. EXKURS: DIGITALE ZEITUNGSKOLLEKTIONEN Für die Landeskunde stellen Zeitungen eine wichtige Quelle dar. Heimatvereine können jedoch prüfen, ob Bestände alter Zeitungen oder gesammelte Pressemeldungen wirklich dauerhaft im Vereinsarchiv gelagert werden müssen. Häufig hat die Lokalredaktion öffentlich zugängliche Archive, außerdem wird in vielen Verlagshäusern nach und nach digitalisiert. Ergänzend zur umfangreichen aktuellen Sammlung regionaler Blätter in ihrem Zeitungs- und Pressearchiv bietet die ULB zwei digitale Zeitungskollektionen an. Im vom Land NRW geförderten Projekt „zeit.punktNRW“ werden seit 2017 für den nordrhein-westfälischen Bereich Lokalzeitungen der Jahre 1801 bis 1945 aus Beständen von teilnehmenden Archiven und Bibliotheken digitalisiert. Das Zeitungsportal stellt die historischen Zeitungen online und kostenfrei zur Benutzung bereit. Es enthält eine große Bandbreite an lokalen und regionalen Zeitungen, die von kommunalen und staatlichen Archiven und Bibliotheken aus den verschiedenen Regionen für das Projekt zur Verfügung gestellt werden. Viele dieser Zeitungen waren bisher weder überregional verzeichnet noch online zugänglich. Dadurch, dass nahezu alle Zeitungsdigitalisate inzwischen über eine Volltexterkennung verfügen, können über die Zeitungstitel hinweg einfache oder erweiterte Stichwortsuchen durchgeführt werden. Zu dieser Thematik gibt es auf dem Portal eine eigene Unterseite mit dem Titel „Suchhilfe“. Über das Projekt zeit.punktNRW berichtete die Heimat Westfalen bereits in der Ausgabe 4/2018. THEMENBLOCK 3: DIGITALISIERUNG, ARCHIVSOFTWARE, ARBEITSABLÄUFE, TECHNIK Der Fachberater für Digitalisierung im LWL-Archivamt für Westfalen Dominic Eickhoff, zuständig für die Beratung nichtstaatlicher Archive, und Dr. Daniel Droste, zuständig für die Betreuung der kommunalen und privaten Archive in den Kreisen Unna, Gütersloh, Soest, Warendorf, Ennepe-Ruhr-Kreis und den Städten Bielefeld und Hamm, moderierten den dritten Themenblock. Sie veranschaulichten umfassend, dass „Digitalisierung“ verschiedene Bedeutungen haben kann und welche Software und Technik sich konkret für Heimatvereine eignet. Aufgrund der Komplexität der Thematik folgt eine stichpunktartige Anleitung zur Planung und Durchführung von Digitalisierungsprojekten in kleinen Archiven inklusive technischer und organisatorischer Standards. KULTUR VERBINDET! „Damit Wissen nicht verloren geht, sondern überregional zugänglich gemacht wird, können Vereine prüfen, ob eigene oder lokale Publikationen dort bereits vermerkt sind. Dann erübrigt sich langfristig die Aufbewahrung im Heimatverein selbst.“
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 11 WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN BEGRIFFE ZUR DIGITALISIERUNG Digitalisierungsstrategie: umfasst langfristige Ziele und Leitlinien, eine strategische Bestandsaufnahme und die Planung einzelner Maßnahmen Digitalisierungsprojekte: detaillierte Planung für die Umsetzung spezifischer Projekte, einschließlich Zielsetzung, technischer und personeller Ausstattung sowie Zeitplan und Kosten digitale Unterlagen: digital entstanden, langfristige Speicherung; Langzeitarchivierung in PDF/A-Format, Verwendung von OCR zur Volltexterkennung und Anbindung an Archivsoftware Digitalisate: professionell gescannte analoge Archivbestände (Das heißt gut ausgeleuchtet, scharf und nicht verzerrt, sodass eine Weiterverarbeitung ohne Weiteres möglich ist.) WELCHE ARCHIVSOFTWARE NUTZEN? Eine Recherche im Archiv funktioniert über die Metadaten im AIS und nicht über den Namen der einzelnen (Bild-)Datei, insofern so eine besteht. Die auf Seite 9 genannten vier Metadaten bei der Verzeichnung sind hier völlig ausreichend und sparen ehrenamtlich Engagierten langfristig Geld, Zeit, Nerven und technisches Know-how. Umfassende Programme, wie sie von professionellen Archiven genutzt werden, sind für die heterogenen Sammlungen der Heimatvereine häufig keine gewinnbringende Option. Neben den recht hohen Kosten für die Anschaffung entstehen laufende Kosten für Updates und Support. Ein Großteil der zusätzlichen professionellen Features und Eintragungsmöglichkeiten in solchen Programmen sind für private Archive in der Regel nicht nötig. Nicht vorenthalten werden soll jedoch, dass einer dieser professionellen Anbieter nun eine Variante für private Archive auf den Markt bringt. Die Redaktion der Heimat Westfalen wird die Entwicklung zu „AUGIAS Private Edition“ im Blick behalten. Da es sich um ein kostenpflichtiges Produkt handelt, können wir lediglich empfehlen, sich auf der Website der Firma AUGIAS selbst zu informieren. Die Referierenden des LWL-Archivamtes empfehlen für Vereine eine gängige Software für Tabellenkalkulation. Es muss nicht unbedingt Microsoft Excel sein. Jedes gängige Programm kann im Format .xlsx speichern, auch die Open-Access-Office-Lösungen LibreOffice und OpenOffice. Wem eine Excel-Tabelle optisch zu benutzerunfreundlich ist oder bei vielen Einträgen zu unübersichtlich wirkt, kann sich damit beschäftigen, wie eine Tabelle auch mit vielen Einträgen gut händelbar gestaltet werden kann. Die Anlage von verschiedenen Arbeitsblättern für verschiedene Bestände kann hilfreich sein. Eine solche Tabelle ermöglicht bereits die Funktion des Filterns und Suchens durch Stichworte. Zusätzlich können die Bestände bei Bedarf statistisch ausgewertet werden, wofür die Daten allerdings in einer gleichmäßigen und standardisierten Form verzeichnet werden müssen. Allerdings sollte sich bei der Kernstruktur der Tabelle immer an die vier Kern-Metadaten (siehe oben) gehalten werden. Werden weitere Spalten mit Informationen hinzugefügt, dann sollten diese gut überlegt und für Nachfolgende dokumentiert werden. Eine Uneinheitlichkeit kann künftige Übertragungen der Tabelleninhalte in ein AIS erschweren und folgenden Vereinsmitgliedern viel Nacharbeit verursachen. Findbücher im Lesesaal des LWL-Archivamtes Foto/ WHB/Hoffschulte
12 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 KULTUR VERBINDET! ARBEITSABLAUF UND QUALITÄTSSICHERUNG BEI DER DIGITALISIERUNG IM HEIMATVEREIN Projektplanung: Ziele definieren (zum Beispiel OnlinePräsentation, Langzeitspeicherung) Arbeitsablauf: Auftragsmanagement, Rechteklärung, Vorbereitung des Archivguts, Scannen, Qualitätssicherung, Langzeitspeicherung, Anbindung an Archivsoftware, Versand, Online-Stellung Qualitätssicherung: regelmäßige Kalibrierung der Geräte, Verwendung von Farb-Testcharts und die Sicherstellung der Datenintegrität Projekt- oder Dauerstruktur: Entscheidung für die Form der digitalen Erfassung Ressourcenplanung: Finanzierung, personelle Kapazitäten, technische Standards und Qualitätssicherung TIPPS ZUR DATEIBENENNUNG UND ORDNERSTRUKTUR Standardisierte Namenskonventionen und Verzeichnisstrukturen für eine systematische Verwaltung und Auffindbarkeit der Digitalisate sind sinnvoll. Vorsicht bei Dateinamen: Bitte keine Bildbeschreibungen in die Dateinamen einfügen, da die Suche über die Archivsoftware oder ein Tabellenkalkulationsprogramm erfolgen sollte. Vor dem Scannen muss es für jedes Stück bereits Signaturen geben, um präzise Dateinamen vergeben zu können. Das heißt, dass die Verzeichnung vor der Digitalisierung abgeschlossen sein muss. Empfohlene Dateinamenskonvention für Digitalisate: „[Bestand]_[Einzelsignatur]_[laufendeNummer]“ STANDARDS DER DIGITALISIERUNG IM ARCHIV • 1 farbiges Bild pro Zettel oder Doppelseite • Farbtiefe: 24-bit (true colour) • Auflösung: in der Regel 300 dpi, bei großen Formaten wie Karten und Plänen 400 dpi, für Filmnegative 2.000 dpi+ • Dateiformate: für Master-Digitalisate JPEG2000 und für Nutzungsdigitalisate JPEG • Ausnahmen für weitere Nutzung TIFF-uncompressed für Drucklegung, Bildbearbeitung, Georeferenzie- rung in GIS EXKURS: EXIT-STRATEGIE Bei der Verwendung oder Nutzung einer externen Plattform oder einer spezielleren Software sollte man vor Beginn eine langfristige Exit-Strategie mitdenken. Archivarbeit ist darauf angelegt, Kulturgut langfristig und dauerhaft – also theoretisch für immer – zu erhalten und technischen Zugang zu den Daten zu gewähren. Wie würde man all seine mühsam strukturierten Metadaten oder digitalisierte Fotos zurückbekommen, wenn die Plattform oder Software einmal nicht mehr existiert, nicht mehr technisch kompatibel mit zukünftigen Dateiformatstandards ist oder das Produkt gewechselt werden soll? Wenn man sich Gedanken über eine Exit-Strategie macht, hat man bereits einen Fahrplan – entweder falls etwas misslingt oder falls aus strategischen Gründen ein anderes Vorgehen gewählt werden soll. Im Sinne einer nachhaltigen Archivierung sollten simple und transferierbare Daten an Nachfolgende übergeben werden, damit die Offenheit für zukünftige Verwendungen gegeben bleibt. Demonstration eines konventionellen Flachbettscanners mit Durchlichteinheit und Filmhalter für Fotonegative Foto/ WHB/Hoffschulte
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 13 • PDF/A mit OCR nur für Schriftdokumente, um sie besser betrachten zu können (PDF-Dokumente sind nicht die primären Digitalisate, sondern die JPEG- beziehungsweise JPEG2000-Dateien.) THEMENBLOCK 4: DEMONSTRATION SCANRAUM: AUFBAU, HILFSMITTEL, ROUTINEN Dominic Eickhoff nahm nach der langen Theoriephase die Teilnehmenden mit in den Scanraum, um ganz praktisch zu erläutern, wie analoge Archivbestände, in diesem Fall Flachware, also gebundenes oder loses Archivgut, schonend digitalisiert werden kann. Für die Digitalisierung von Archivgut bieten sich unterschiedliche Methoden und Infrastrukturen an, die abhängig von den Zielen und Ressourcen gewählt werden sollten. PLANUNG DER SCAN-INFRASTRUKTUR Für eine strategische Digitalisierung ist die Infrastruktur entsprechend zu gestalten und instand zu halten. Dabei ist auf die Ergonomie und Barrierefreiheit der Arbeitsplätze zu achten, beispielsweise durch höhenverstellbare Tische. Es kann auch sinnvoll sein, einen lichtabgewandten Arbeitsplatz zu wählen oder diesen nachträglich beispielsweise durch UV-dichte Vorhänge abzudunkeln, um unerwünschte Lichteinflüsse zu minimieren, insbesondere bei der Nutzung von Aufsichtscannern. Professionelle A2-Aufsichtscanner, wie sie beispielsweise in Kommunalarchiven benutzt werden, können bis zu 20.000 Euro kosten. Für Heimatvereine eignen sich aufgrund ihrer variablen Bauart eher sogenannte Repro-Stationen (bei einigen Herstellern auch als „Archivscanner“ bezeichnet), die im Kern aus einer Tischaufnahmeeinheit, einer Systemkamera mit Objektiv und einer Scansoftware bestehen. Variabel bedeutet, dass die Kamera abmontiert und für sonstige Fotografien benutzt werden kann. Durch die Höhenverstellbarkeit kann das System an verschiedene Unterlagentypen angepasst werden. Durch den Wechsel des Objektivs und eine Durchlichteinheit können sogar Negativformen digitalisiert werden. In der günstigsten Ausführung gibt es solche Systeme ab circa 8.000 Euro. KONVENTIONELLE FLACHBETTSCANNER Die günstigste Variante ist der konventionelle Flachbettscanner. Mit diesem kann gebundenes Material zwar nicht schonend digitalisiert werden, dafür eignet sich dieser Gerätetyp hervorragend für Fotoabzüge und wenn er zusätzlich über eine Durchlichteinheit verfügt auch für Filmnegative. Tipp des Referierenden: Wenn Sie über Fotoabzüge und Negative verfügen, dann digitalisieren Sie die Negative, da Ihnen diese Digitalisate eine höhere Qualität bieten werden. Geeignete Geräte für die Fotodigitalisierung kosten circa 500-5.000 Euro, je nach Format und Funktionsumfang. Hinzu kommen gegebenenfalls Kosten für eine professionelle Scansoftware in Höhe von circa 200-300 Euro für Flachbettscanner. Wenn genügend finanzielle Mittel vorhanden sind, sollte nicht unbedingt die mitgelieferte Standardsoftware benutzt werden. Diese erlaubt kein jobbasiertes Arbeiten, um die aktuelle Digitalisierung zeitweise unterbrechen zu können. Außerdem verfügt diese meistens über keine StapelverarbeitunWISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN Arbeitsmaterialien im LWL-Archivamt Foto/ WHB/Hoffschulte
14 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 gen für die Dateinamenvergabe und automatische Erzeugung von Ordnerstrukturen. Diese Arbeitsschritte zum Angleichen der Dateistrukturen können aber auch nachgeholt werden, beispielsweise durch die kostenlose Open-Source-Software IrfanView. Bei allen Geräten gilt es zu beachten, auch einen geeigneten Computer und einen guten Monitor zur Verfügung zu haben. Diese Kosten sind in den genannten Preisspannen nicht enthalten, da hier jeder Heimatverein eine andere Ausstattung mitbringen dürfte. TECHNISCHE ANFORDERUNGEN • Kalibrierung des Scanners (Werkseinstellungen über- prüfen und neu kalibrieren mit Bordwerkzeug) • Softwarekalibrierung des Monitors mithilfe eines Colorimeters (Grundlage für Qualitätssicherung) • Kontrolle der Farbgebung mithilfe von speziellen Farbkarten (IT8-Targets, die etwas günstiger sind als die Universal Test Targes, oder ColorChecker) • Einrichtung eines neuen PC-Arbeitsplatzes am besten mit Netzwerkanbindung anstatt WLAN (Übertra- gungsprobleme verhindern). Auf ausreichend Spei- cherplatz und Arbeitsspeicher achten. • Monitor: mindestens 24 Zoll, ideal: 27 Zoll, 4K mit Full-HD-Auflösung (3.840 × 2.160 Pixel) • in dunklen Räumen von Vorteil: glänzendes Display (nicht entspiegelt), in hellen Räumen: anti-glare/ent- spiegelt • Installation mitgelieferter Scansoftware an neuem Arbeitsplatz berücksichtigen Die Kalibrierung, das heißt der Vergleich eines Messwertes mit dem herstellerseitig dokumentierten Wert von Scannern, ist entscheidend für die Qualitätssicherung. Ein farbkalibrierter Monitor ist essentiell für die Beurteilung der Farbgebung mit dem Auge. Alternativ können die Farben der produzierten Digitalisate mit gängiger Bildbearbeitungssoftware gemessen werden, beispielsweise mit der kostenlosen Open-Source-Software GIMP. Bei Fehlern sind die Werkseinstellungen zu überprüfen und bei Bedarf neu zu kalibrieren, um eine einheitliche und verlässliche Bildqualität zu gewährleisten. DIGITALE SPEICHERUNG Außerdem wird empfohlen, die Speicherung auf zwei getrennte Netzlaufwerke aufzuteilen: ein Laufwerk für Master-Digitalisate und eines für Nutzungsdigitalisate, um die Langzeitnutzung zu sichern und die Daten effizient zu organisieren. Das Speichern der Digitalisate auf USB-Sticks oder optischen Datenträgern wie CDs ist nicht sicher. Wenn externe USB-Festplatten gewählt werden, die lange unbenutzt lagern, dann sind HDDFestplatten zu bevorzugen. Wenn kein Netzlaufwerk betrieben werden kann, sollten mehrere externe Festplatten benutzt werden, um eine redundante Speicherung der Digitalisate zu gewährleisten. Es sollten nicht nur Kopien, sondern regelmäßig richtige Backups, Images genannt, erstellt werden. Dafür gibt es ebenfalls kostenlose Open-Source-Software, beispielsweise Duplicati. DIGITALISIERUNG MIT DEM SMARTPHONE Eine kostengünstige Alternative zu den ebenfalls erschwinglichen Flachbettscannern ist die Nutzung von Scanzelten oder Fotoboxen (ca. 50-300 Euro, je nach Modell) zusammen mit einem Smartphone. Diese KULTUR VERBINDET! Kalibrierung und Qualitätssicherung mittels Farbkarten (links ColorChecker, rechts UTT/ Universal Test Target) Foto/ WHB/Hoffschulte
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 15 WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN ermöglichen durch die stabile Position des Smartphones und gute Ausleuchtung der Objekte scharfe und unverzerrte Aufnahmen. Allerdings sind solche Lösungen in der Farbechtheit begrenzt und daher nicht für die Digitalisierung von Fotografien geeignet, für Schriftgut je nach Anspruch aber ausreichend. Ein weiterer Vorteil der Smartphone-basierten Digitalisierung ist die Möglichkeit, die Daten direkt in eine Cloud zu übertragen, was beispielsweise eine einfache Integration von KI-basierten Transkriptionsdiensten ermöglicht. Ein Nachteil sind die günstigen und wenig nachhaltigen Materialen der Produkte, weshalb diese eine intensive Nutzung vermutlich nicht jahrelang durchhalten werden. Ein weiterer Nachteil ist die Abhängigkeit vom verwendeten Smartphone, welches über eine relativ gute Kamera verfügen sollte. Vor der Digitalisierung mit dem Smartphone ist darauf zu achten, in den Kameraeinstellungen die höchstmögliche Auflösung zu wählen, Farbfilter auszuschalten und das Standardformat JPEG auszuwählen. Mit aktuellen Smartphones können nur Nutzungsdigitalisate (JPEG), jedoch keine Masterdigitalisate (JPEG2000 oder alternativ TIFF) erstellt werden. In der Regel ist auch keine Dateinamenvergabe nach Vorgabe möglich, sodass alle Digitalisate händisch (Stapelverarbeitung ist zu bevorzugen) in der Benennung nachträglich angeglichen werden müssen. ARCHIVALIEN SINNVOLL REDUZIEREN Relevant für kommende Generationen im Ehrenamt ist vor allem die Nachvollziehbarkeit, Auffindbarkeit sowie Zuordnung von Archivalien, sei es digital oder analog. Mitunter kann im Zuge der Übernahme und Archivierung von Unterlagen auch etwas aus der Sammlung entfernt werden („Kassieren“ genannt), da das Material unvollständig, in sehr schlechtem Zustand oder bereits in mehrfacher Ausführung vorhanden ist. Auch im Nachhinein können sogenannte Nachkassationen von bereits verzeichnetem Sammlungsgut durchgeführt werden. Solche Aktionen sollten aber nachvollziehbar dokumentiert werden. Eine Sammlung, auch eine ehrenamtlich betreute, sollte durch Qualität und nicht Quantität überzeugen. Basis für das „Entsammeln“ sollte immer das berechtigte Interesse der Menschen vor Ort und der Einrichtung Nutzung von Scanzelten oder Fotoboxen mit einem Smartphone Foto/ WHB/Hoffschulte selbst sein, darüber hinaus der langfristige Zweck und das Ziel der (Auf)Bewahrung und Ausstellung der Archivalien sowie deren Einzigartigkeit im lokalen und kulturellen Kontext. Hier gilt es, wie oben beschrieben zu überlegen: • Hat der Verein amtliches Schriftgut in seinem Archiv, das eigentlich in das zuständige Kommunal- archiv gehört? • Sind lokale, regionale oder selbst produzierte Publika- tionen bereits in der ULB Münster nachgewiesen und verzeichnet worden? • Wurden in den vergangenen Jahrzehnten Zeitungs- ausschnitte gesammelt und aufbewahrt, die entwe der im Archiv der Lokalzeitung, im Kommunalarchiv oder aber im Portal zeit.punktNRW auffindbar sind? • Besitzt der Verein Fotosammlungen oder audiovisuel- le Medien, die noch nicht digitalisiert, aber von über- regionaler Bedeutung sind, sodass sie interessant sein könnten für eine fachgerechte Digitalisierung und Ver- wahrung im LWL-Medienzentrum für Westfalen? • Glasplattennegative sind auch trotz ihres hohen Alters detailreich und hervorragende visuelle Zeugnis- se ihrer Zeit. Wenn Glasplattennegative Teil des Bestandes sind, lohnt sich in jedem Fall die Kontakt- aufnahme zum LWL-Medienzentrum für Westfalen.
16 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 Weblinks zu den im Artikel geschilderten Websites, Handlungshilfen und Informationen unter: Materialbestellung über das LWL-Archivamt für Westfalen www.lwl-archivamt.de/de/archivberatung/materialbestellung/ Kontakt zum LWL-Medienzentrum für Westfalen www.lwl-medienzentrum.de/de/medien-aus-der-region/film-undtonarchiv/auftrag-filmarchiv/ Kobold, Maria/Moczarski, Jana: Bestandserhaltung: Ein Ratgeber für Verwaltungen, Archive und Bibliotheken. Hrsg. Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hessisches Landesarchiv (2020). www.tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/11407/ Pfeil, Sarah/Hartmann, Manfred: Gewusst wie – Inventarisierung und Dokumentation in Museen und kleinen Sammlungen. Bericht über das Praxis-Seminar des Westfälischen Heimatbundes in Kooperation mit dem LWL-Museumsamt für Westfalen. In: Heimat Westfalen 4/2024, S. 26-31. www.whb.nrw/367-download/Heimat%20Westfalen/2024/ HW_4_24_Internet.pdf Die Publikation „Urheberrecht in der Praxis. Ein Leitfaden für Heimatengagierte“ ist, soweit der Vorrat reicht, kostenlos über die Geschäftsstelle des WHB erhältlich und steht auch digital zur Verfügung. www.whb.nrw/media/filer_public/75/38/7538f1af-cce3-477bbc0d-13e32be00e71/whb_handreichung_urheberrecht.pdf Flachmann, Holger: Angebote der Universitäts- und Landesbibliothek Münster für Heimatforschung und Landeskunde In: Heimat Westfalen 5/2019, S. 22-26. www.whb.nrw/367download/Heimat%20Westfalen/2019/HW_5_19_Internet.pdf Gesetz zum Erlass eines Kulturgesetzbuches sowie zur Änderung und Aufhebung weiterer Vorschriften (Kulturrechtsneuordnungsgesetz von 2021; Teil 5 Bibliotheken und Pflichtexemplarregelungen) Gesetz- und Verordnungsblatt (GV. NRW). Ausgabe 2021 Nr. 84 vom 14.12.2021, S. 1345-1408. recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=6&vd_ id=19996&vd_back=N1353&sg=2&menu=0 Pflichtexemplarportal „Westfalica electronica“ der ULB Münster: epflicht.ulb.uni-muenster.de/ ULB Münster – Landesbibliothek für Westfalen (Rechtsgrundlagen, Pflichtexemplar Abgabe, Ansprechpartner, Recherche und Bestände der Landesbibliothek) www.ulb.uni-muenster.de/landesbibliothek/ Der Karlsruher Virtuelle Katalog (KVK) ist eine MetaSuchmaschine zum Nachweis von mehreren hundert Millionen Medien in Bibliotheks- und Buchhandelskatalogen weltweit. kvk.bibliothek.kit.edu/ Landesprojekt zeit.punktNRW für westfälische Tageszeitungen der Jahre 1801 bis 1945 zeitpunkt.nrw/ Tipps zur Digitalisierung von Tonbändern/Filmstreifen/ Negativen/Dias aller Art memoriav.ch/de/empfehlungen/all/ www.danrw.de/fileadmin/user_upload/2022-04-13_Handreichung_DA_NRW_AV-Workshop_V01.pdf DFG-Praxisregeln „Digitalisierung” (2022) zenodo.org/records/7435724 Handreichungen zur Digitalisierung archivalischer Quellen der Archivschule Marburg www.archivschule.de/DE/forschung/digitalisierung-archivalischer-quellen/handreichungen-zur-digitalisierung-archivalischerquellen.html Verbund deutscher Handschriftenzentren: Handreichungen für Handschriftendigitalisierungsprojekte im Überblick www.handschriftenzentren.de/materialien/ Zeitschriften Datenbank (ZDB): Grundlagen der Zeitungsdigitalisierung zeitschriftendatenbank.de/zeitungsdigitalisierung/ Die neue AUGIAS Private-Edition wird als „Datenbank zur Verzeichnung von Archivalien für Nachlässe von Privatpersonen, ehrenamtliche Institutionen, Heimatvereine, Geschichtsvereine und Sportvereine“ beworben. www.augias.de/Produkte/Archiv/AUGIAS-PE/ KULTUR VERBINDET! INFO Alle Weblinks wurden abgerufen am: 11. November 2024.
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 17 MEINE HEIMAT WESTFALEN MEINE HEIMAT IST BIELEFELD Nadja Relin MITGLIED DES STADTHEIMATPFLEGE-TEAMS IN BIELEFELD, ERSTE VORSITZENDE DORFKRUG KIRCHDORNBERG E. V., VORSTANDSMITGLIED HEIMATVEREIN DORNBERG E. V. Bielefeld ist für mich mehr als nur ein Wohnort – es ist eine Stadt voller Geschichte, Kultur und Gemeinschaft, die meine Heimat geworden ist. Die Stadt am Teutoburger Wald beeindruckt mit ihrem unvergleichlichen Charme, großen Grünflächen und einzigartigen Orten wie dem Tierpark Olderdissen. Ihre Mischung aus Tradition und Moderne, geprägt durch Wahrzeichen wie die Sparrenburg und Unternehmen wie Dr. Oetker oder Miele, macht Bielefeld für mich besonders. Bielefeld begeistert mich seit meiner Jugend, da ich bereits meine Schulzeit und Studium hier verbracht habe. Mein Herz schlägt aber vor allem für Kirchdornberg, einen Stadtteil, in dem das Zusammengehörigkeitsgefühl lebendig ist. Hier engagiere ich mich ehrenamtlich, weil ich Freude daran habe, aktiv Dinge zu gestalten, die Gemeinschaft zu fördern und Menschen zusammenzubringen. Ein besonderes Herzensprojekt ist die Wiederbelebung des Dorfkrugs als Kulturort. Dieses Projekt war zwar zeitintensiv, aber unglaublich erfüllend, da die Menschen, Handwerker und Freiwilligen vor Ort in beispielhafter Solidarität zusammengearbeitet haben – alle freiwillig und unentgeltlich. Ehrenamt bedeutet für mich, Teil einer Gemeinschaft zu sein und aktiv etwas beizutragen. Heimat entsteht nicht einfach durch Geburt, sondern durch das, was wir daraus machen – durch Ideen, Engagement und Zusammenarbeit. Dabei ist es nicht wichtig, woher man kommt, sondern welchen Weg man gemeinsam mit anderen geht. Egal, ob jung oder alt, das Ehrenamt bietet die Chance, Erfahrung, Dankbarkeit und Sinn zu verbinden und die Welt ein Stück besser zu machen – lokal und mit Herz. Weihnachtsmarkt 2024 in Kirchdornberg Foto/ Jürgen Benne Foto/ Sarah Jonek
V 18 / HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 iele Bürgerinnen und Bürger sind schon einmal mit Städtepartnerschaften in Berührung gekommen: als Kinder und Jugendliche im Rahmen eines Austausches, über die Berichterstattung in der Lokalpresse oder bei besonderen Aktionen im Stadtraum. Die Partnerschaftsschilder an den Ortseingängen sind sicherlich jedem schon einmal aufgefallen. Aber wie steht es heute um Städtepartnerschaften? Sind sie ein alter Hut? Nein, findet Dr. Kai Pfundheller: „Völkerverständigung gewinnt in Zeiten multipler Krisen, wie wir sie heute erleben, zunehmend an Bedeutung. Das Verbindende zwischen den Nationen zu sehen, es zu erhalten und zu pflegen, ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in der Welt. So sind Partnerschaften auf lokaler Ebene ein lebendiger Ausdruck gegenseitiger Achtung, der Wertschätzung, der Unterstützung und des freundschaftlichen Miteinanders.“ Grafik aus der 2024 neu- aufgelegten Publikation Städtepartnerschaften – Entwickeln · Leben · Aus- bauen · Finanzieren Grafik/ Auslandsgesellschaft.de e. V. KULTUR VERBINDET! STÄDTEPARTNERSCHAFTEN ALS ZENTRALE INSTRUMENTE FÜR VÖLKERVERSTÄNDIGUNG, INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT UND DAS EINTRETEN FÜR EUROPÄISCHE WERTE VON BEATE BROCKMANN UND FRAUKE HOFFSCHULTE
HEIMAT WESTFALEN – 6/2024 / 19 WISSEN TEILEN, ZUGÄNGE SCHAFFEN Pfundheller ist Leiter der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften in der Auslandsgesellschaft in Dortmund, einem klassischen Verein, der mit Kultur, Sprachen und politischer Bildung international Brücken baut. Mit seiner Begeisterung für Städtepartnerschaften ist Pfundheller nicht allein: Über tausend Städtepartnerschaften gibt es allein in Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 400 Kommunen, die Zahl der Städtepartnerschaftsvereine liegt bei rund 500. Wie viele Menschen in diesem Feld ehrenamtlich aktiv sind, darüber gibt es jedoch bislang keine gesicherten Zahlen. Fest steht: Sie sind eine feste Größe in unseren Städten und Gemeinden, denn sie bringen internationale Perspektiven in ihre Heimat ein. Städtepartnerschaften erlauben den direkten Austausch mit der Lebenswirklichkeit, den Herausforderungen, den Erfahrungen und dem Wissen der Menschen in den Partnerstädten weltweit. Dabei bieten die Austausche, Formate und das Engagement an sich eine Vielzahl von Bildungsmöglichkeiten – von Sprachkenntnissen über Projektarbeit bis hin zum Demokratieverständnis, darüber hinaus jedoch auch die Möglichkeit, sich mit der eigenen Stadt und ihrer Kultur und Historie auseinanderzusetzen und sich stärker mit ihr zu identifizieren. Kein Wunder also, dass die zentrale Netzwerkstelle für Städtepartnerschaften in Nordrhein-Westfalen unter dem Dach der Auslandsgesellschaft gerade im Institut für politische Bildung verortet ist: „Städtepartnerschaften sind politische Bildung par excellence“, so Pfundheller, „und die Rolle der Identität ist dabei kaum zu unterschätzen.“ ZIVILGESELLSCHAFT INITIIERT STÄDTEPARTNERSCHAFTEN Dabei ist die Gruppe der Engagierten in Städtepartnerschaften besonders vielfältig: Vereine, Schulen, Glaubensgemeinschaften oder Sportvereine sind ebenso dabei wie Diaspora-Organisationen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die Freiwillige Feuerwehr, Musikvereine sowie Heimat- und Kulturvereine. So geht ein Großteil der von deutschen Kommunen initiierten Städtepartnerschaften auf die Tatkraft von „engagierten Aktiven“ zurück. Dazu braucht es aber nicht unbedingt immer Vereine oder ähnliche Strukturen. Aber oft erleichtern solche Zusammenschlüsse die Zusammenarbeit und helfen dabei, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen und klare Ansprechpersonen zu bestimmten Fragen zu benennen. „Gerade für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte können Städtepartnerschaften Schlüsselerfahrungen bieten“, so Wolfram Kuschke, Kuratoriumsvorsitzender der Auslandsgesellschaft, der lange Zeit auch der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen vorstand. Sie können ihnen eine Brücke in die alte Heimat bieten und sie dabei zu gefragten und kompetenten Kulturvermittlern in beide Richtungen machen. „Wir haben im Kompetenzteam ,Städtepartnerschaften und europäische Zivilgesellschaft‘ der Auslandsgesellschaft bereits 2017 ein sehr spannendes und erfolgreiches Projekt zu Städtepartnerschaften und ihrem Potential im Bereich Migration und Integration angestoßen“, so Kuschke, der dazu bereits in der Heimat Westfalen 3/2018 berichtete. Bereits damals sei ihm das große Potential aufgefallen, welches in der Zusammenarbeit zwischen Heimatvereinen und Städtepartnerschaftsvereinen besteht. Heimatvereine seien zunehmend offen für einen Diskurs, wie Heimat in einer globalisierten Welt eigentlich zu verstehen sei. Sie sind Experten in der Auseinandersetzung mit dem lokalen kulturellen Erbe. Städtepartnerschaftsvereine wiederum schärfen das Bewusstsein für die Einzigartigkeit der eigenen Ge- „Völkerverständigung gewinnt in Zeiten multipler Krisen, wie wir sie heute erleben, zunehmend an Bedeutung. Das Verbindende zwischen den Nationen zu sehen, es zu erhalten und zu pflegen, ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in der Welt. So sind Partnerschaften auf lokaler Ebene ein lebendiger Ausdruck gegenseitiger Achtung, der Wertschätzung, der Unterstützung und des freundschaftlichen Miteinanders.“ Dr. Kai Pfundheller, Leiter der Netzwerkstelle Städtepartnerschaften
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